Freitag, 24. Juli 2015

"In der Wand" von James Salter


 "Worauf es ankam, war Teil des Lebens zu sein und nicht, es zu besitzen."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Rand ist passionierter Bergsteiger, liebt die Herausforderung am Berg und sucht diese stets auf's Neue. So betrachtet er auch das Leben, sieht es als etwas, das angegangen und gemeistert werden muss. Die Liebe hat oft ein Nachsehen, denn die Anziehungskraft der Berge ist so gewaltig, dass dafür geliebte Frauen verlassen werden.
Rand, eine Kämpfernatur, erwartet von seinen Mitmenschen einen eben solchen Mut und allerhöchste Selbstdisziplin in schwierigen Lebenssituationen. Risiken sind einzugehen, dürfen nicht gescheut werden. Zum Ende des Buches wird das in einer Auseinandersetzung mit seinem Freund Cabot nur allzu deutlich. 

... das bewegte Herz

Das Bergklettern als Analogie zum Leben. Wunderbar philosophische Betrachtung.

... ein Zitat

"Es herrschte ein Einverständnis zwischen ihnen, eines, das seine Wurzeln im Leben selbst hatte. Es gab Tage, an die sie sich immer erinnern würden: gewaltige, herzzerbrechende Anstrengungen, und oben angelangt, was für ein Rausch, hatten sie sich mit glühenden Gesichtern die Hände geschüttelt, war ihr Sein bestätigt."

... die Sprache

James Salter schreibt eine beeindruckende Prosa, versteht sich auf Landschaftsbeschreibungen und Dialoge. Letztere sind oft kurz gefasst, dabei aber sehr ausdrucksstark.

... Bemerkenswertes

Nach "Lichtjahre" und "Alles, was ist" war dies "mein dritter Salter". Ich frage mich, warum dieser Roman weniger bekannt geworden ist. Mir war er am nächsten. Die Figur des Rand schien mir um einiges interessanter als der blasse Philip aus dem letzten Roman ...

Sonntag, 19. Juli 2015

"Im Frühling sterben" von Ralf Rothmann


         "Einen Herzschlag lang konnte man noch an eine Täuschung glauben ..."

Es bleibt in Erinnerung ...

 ... die Story

Ralf Rothmann erzählt die Geschichte von Walter und Fiete, zwei siebzehnjährigen Jungen, die 1945 noch in die Waffen-SS berufen werden. Keiner der beiden hatte sich freiwillig gemeldet, sie werden einfach aus ihrer Melkerlehre heraus zwangsrekrutiert.
Der Klappentext nimmt die Zuspitzung in diesem Roman schon vorne weg. Die ersten Seiten offenbaren dann aber eine Rahmenhandlung, die den Leser langsam und literarisch meisterlich ins Geschehen einführt. Wir lernen Walter als alten sterbenden Mann kennen, der zeitlebens nicht gerne von seinen Kriegserlebnissen gesprochen hat, der aber auf dem Sterbebett erkennen lässt, dass seine Erinnerungen nicht verarbeitet sind, sondern gleich eines Traumas in ihm wüten.
Der Roman springt dann ins Jahr 1945 und wir begleiten Walter und seinen Freund Fiete in den Krieg.
Wir wissen, es wird die Szene kommen, die Walter zwingt, auf seinen Freund Fiete, den Deserteur zu schießen. Aber um diesen Augenblick herum schafft Ralf Rothmann noch andere eindringliche Passagen, die neben der Brutalität auch ganz viel Poesie und Faszination schenken. Momente voller Schönheit erheben sich aus Passagen, die von Leid und Tragik erzählen. Ich war emotional sehr angesprochen und spürte eine allesumfassende Sicht auf das Leben zu Kriegszeiten mit Momenten unsagbarer Kränkung und Schuld und deren Bewältigung.
Der Roman hat in Stille und Schweigen seinen Anfang und so endet er auch. Im Epilog macht sich der Sohn auf die Suche nach der Grabstelle seiner Eltern. Der Friedhof liegt unter einer Schneeschicht. Flocken waren "lautlos gefallen ..., ein stilles Verwehen".

... das bewegte Herz

Als Walter den Vorgesetzten aufsucht und um Gnade für seinen Freund Fiete bittet. 
Ein letztes Gespräch mit Fiete.

... ein Zitat

"Das Schweigen, das tiefe Verschweigen, besonders wenn es Tote meint, ist letztlich ein Vakuum, das das Leben irgendwann von selbst mit Wahrheit füllt ... Mein Vater hat selten einmal gelächelt, ohne deswegen unfreundlich zu wirken. Der Ausdruck in seinem blassen, von starken Wangenknochen und grünen Augen dominierten Gesicht war unterlegt von Melancholie und Müdigkeit ... Es war der Ernst dessen, der Eindringlicheres gesehen hatte und mehr wusste vom Leben, als er sagen konnte, und er ahnte: Selbst wenn er die Sprache dafür hätte, würde es keine Erlösung geben."

... die Sprache

Sehr sensibel und hochpoetisch. Still in den richtigen Momenten. 

... Bemerkenswertes

Walter und Fiete werden in die SS- Division Frundsberg eingezogen. Es kann kein Zufall sein, dass es sich hierbei um dieselbe Division handelt, in die auch Günter Grass 1944 aufgenommen wurde. Ralf Rothmann möchte damit sicher etwas zum Ausdruck bringen.




"Der Spieler" von Fjodor M. Dostojewskij


"Ich kann in mir den Menschen wiederfinden, solange er noch nicht ganz zugrunde gegangen ist."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Während Dostojewskijs Romane sonst in Russland beheimatet sind, findet sich die Handlung dieses Buches hauptsächlich in Deutschland wieder. Es ist bekannt, dass "Der Spieler" autobiographische Züge aufweist, da Dostojewskij selber der Spielsucht verfallen war. Diese nahm ihre Anfänge in den Casinos deutscher Städte, überliefert sind Wiesbaden und Baden-Baden. Noch heute steht im Kurpark von Wiesbaden die Büste von F.M. Dostojewski.
Im Roman nennt die fiktive Stadt sich Roulettenburg, wahrscheinlich handelt es sich um Wiesbaden. Dort ist Alexej Iwanowitsch, der fünfundzwanzigjährige Protagonist, als Hauslehrer in der Familie eines Generals tätig. Zur ersten Berührung mit dem Roulettespiel kommt es, als er die Tante der Familie ins Casino begleiten muss. Die Spielleidenschaft ist entfacht und Alexej bleibt ihr verfallen. Im letzten Teil des Buches gelingt es ihm wohl, seine Glücksspielsucht zu reflektieren, aber die Selbstkontrolle ist so weit gestört, dass der Torheit kein Einhalt mehr geboten werden kann. Alexej erkennt "die ganze Erbärmlichkeit" seiner Abhängigkeit und fühlt sich, als sei er "in tiefem Schlamm steckengeblieben" und doch begibt er sich wieder ins Casino,  flüchtet in Hoffnung und Verdrängung: "Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen."
Das Psychogramm einer Spielerseele, geschrieben 1866. Und es hat bis heute nicht an Aktualität verloren. Wir haben hier einen Roman von Dostjewskij vorliegen, der ein guter Einstieg ins Gesamtwerk des russischen Autoren ist. Leicht lesbar und von nicht so hoher Seitenzahl.

... das bewegte Herz

Wie die soziale Gleichgültigkeit sich in sein Leben schleicht.

... ein Zitat

"Sie sind gegen alles stumpf und gleichgültig geworden", bemerkte er." Sie haben sich vom frisch pulsierenden Leben losgesagt, sich losgesagt von Ihren eigenen Interessen und von denen der Gesellschaft , von Ihrer Pflicht als Bürger und Mensch, von Ihren Freunden ... Sie haben sich sogar von Ihren Erinnerungen losgesagt. Sie stehen mir noch vor der Seele, wie sie damals waren, als in Ihnen Glut und Kraft lebten ..."

... die Sprache

Feingeistig und präzise. Psychologisch genial. Sehr ansprechend.






Samstag, 11. Juli 2015


"Alles Licht, das wir nicht sehen" von Anthony Doerr



      "Jedes Ergebnis hat seinen Grund, jede Zwangslage einen Ausweg."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Marie-Laure, ein französisches blindes Mädchen und Werner, ein deutscher Waisenjunge, beleben die Seiten dieses Romans.
Marie-Laure wohnt zunächst mit ihrem Vater in Paris und sie begleitet ihn jeden Tag ins "Muséum national d`Histoire naturelle", wo er beschäftigt ist. Er vermittelt ihr ein Empfinden für die Natur und lehrt sie die Blindenschrift, denn es ist ihm daran gelegen, sie für das Leben zu stärken. Aus diesem Grund fertigt er ihr auch eine kleine Häuserlandschaft auf einer Holzplatte an, die das Wohnviertel, in dem sie wohnen, wiedergibt. Marie-Laure tastet die Minihäuser und -straßen ab und prägt sich alles wie einen Stadtplan ein. Das ermöglicht es ihr, trotz ihrer Blindheit vor der Tür alleine unterwegs zu sein.
Werner wächst zusammen mit seiner Schwester in einem Waisenhaus auf dem Gelände einer Zeche Nähe Essen auf.
Es ist letztendlich der Krieg, der Werner und Marie-Laure im Roman zusammenführt. Die verschiedenen Erzählstränge bewegen sich zwischen 1940 und 1944, abwechselnd folgt man beiden Protagonisten.
Werner ist schon als Junge technisch sehr versiert. Die deutsche Wehrmacht wird auf ihn aufmerksam und er erfährt die Aufnahme in eine Eliteschule, die den Nationalsozialisten dient. Später wird er an der Front eingesetzt, um dort mit Peilgeräten Fremdsender aufzuspüren.
Marie-Laure flieht 1944 mit ihrem Vater aus dem besetzten Paris nach Saint-Malo zu ihrem Onkel Etienne. Da dieser auf seinem Dachboden einen Sender betreibt, wird Werner auf das Haus aufmerksam, als er mit seiner Einheit in die Küstenstadt kommt ...

... das bewegte Herz

Wie die beiden jungen Menschen sich entwickeln, woran sie glauben, was sie erschüttert und wie sie aufeinander treffen, ohne dass der Roman damit zu einer banalen Liebesgeschichte wird. Diese beiden Persönlichkeiten bewegen sehr. Sie sind wunderbar geschaffen (vor allem Marie-Laure) und lassen den recht seitenstarken Roman nicht langweilig werden.

... ein Zitat

"Hatte sie nicht gedacht, sie würde für den Rest ihres Lebens mit ihrem Vater in Paris leben?... Jedes Jahr zu ihrem Geburtstag eine neue Schachtel und einen weiteren Roman bekäme und so nach und nach alles von Jules Verne und Dumas, und vielleicht sogar von Balzac und Proust läse? Dass ihr Vater abends auf ewig summen und kleine Häuser bauen würde, sie immer wüsste, wie viele Schritte es von ihrer Haustüre zur Bäckerei (vierzig) und wie viele mehr zur Brasserie (dreiunddreißig) wären ..."

... die Sprache

Neben den Protagonisten ist es die Sprache, die diesen Roman auszeichnet. Poetisch, manchmal märchenhaft, auf jeden Fall schafft sie Gefühle, Gerüche, Töne und ein Timbre in der Luft, ganz so, als wären auch wir blind und müssten mit all unseren Sinnen wahrnehmen ...