Dienstag, 25. Februar 2014

"Und wieder Februar" von Lisa Moore


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Helens Mann Cal kommt bei einem Unfall auf einer Bohrplattform vor der Küste Neufundlands ums Leben. Helen ist zu diesem Zeitpunkt schwanger und hat bereits drei Kinder. Es gelingt ihr, Stärke zu demonstrieren, die kleine Familie zusammenzuhalten, doch im Innern kommt sie nicht über Cals Tod hinweg. Vor allem durchlebt sie immer wieder seine letzten Minuten, das heißt, sie versucht sie sich vorzustellen. Es ist wie ein Film, der abläuft, der sie nicht los lässt. Barry, der Mann, den sie später kennenlernt und der eine neue Aussicht auf Glück, verspricht, bleibt trotzdem nur eine kleine zarte Hoffnung. Daher ist dies ein Happy End, das man dem Buch gut verzeihen kann.
Lisa Moore macht in ihren Kapiteln Zeitsprünge. Denen ist gut zu folgen und sie machen das Buch zusätzlich lebendig. 

... das bewegte Herz

Wie uns die Autorin in das Herz von Helen gucken lässt ("Helen hat die Einsamkeit gemeistert; keiner hält sie mehr für einsam.")

... ein Zitat

"Und was folgt, wenn man länger nicht berührt wird, ist das schmutzigste und banalste Geheimnis überhaupt: Man vergisst, es sich zu wünschen."

... die Sprache

Wahrscheinlich ist es der Sprache zuzuschreiben, dass dieser Roman nicht in den Kitsch abgleitet. Die Sprache überschlägt sich nicht, sondern kommt mit kurzen Sätzen aus. Aber ihre Aussagekraft ist ein Phänomen. Vor allem kann man noch zwischen den Zeilen ganz viel Gefühl auftun. 



Freitag, 21. Februar 2014

"Jedermann" von Philip Roth


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Ein Mann, inzwischen über siebzig, hält Rückschau auf sein Leben. Das Buch beginnt mit seiner Beerdigung und spannt im Anschluss sein Leben auf. Er (ohne Namen), der sein Leben selber erzählt, befasst sich die meiste Zeit darin mit dem Alter, dem Kranksein und dem Tod. Die schwindenden Kräfte setzen ihm sehr zu, es tauchen Bilder aus seinen jungen starken Jahren auf, in denen er guten Sex hatte. Der Leser spürt, wie sehr es ihn schmerzt, dass diese Zeit vorbei ist. Dreimal war er verheiratet, das zweite Mal sehr glücklich, doch nach einer heftigen Affaire seinerseits trennte sich seine Frau von ihm. Dieser verlorenen Partnerin weint er nun hinterher. Er ist alleine und einsam. Hinzugekommen sind Krankheiten und damit verbundene Krankenhausaufenthalte.

... das bewegte Herz

Als er am Schluss durch das Gespräch mit dem Totengräber einen kleinen "Sieg über seine finsteren Gedanken" erringt.
Er kommt ins Krankenhaus, da wieder eine OP ansteht. Nach Verabreichung der Narkose tauchen in ihm Bilder auf, wie er voller Vitalität und Lebensfreude in hohe Atlantikwellen hineinschwimmt. Erinnerungen an schönste Tage seiner Kindheit. Er ist überglücklich und gleitet so hinweg ...

... die Sprache

Kraftvolle Sprache, die tief in seine Seele blicken lässt. Nichts Überflüssiges. Jeder Satz sitzt.

... ein Zitat

"... in Gedanken noch erfüllt von der Gewalt der unendlichen See, die in seinen eigenen Ohren gebraust hatte, und leckte an seinem Unterarm, um die vom Ozean erfrischt und von der Sonne verbrannte Haut zu schmecken. Das ekstatische Gefühl, einen ganzen Tag lang bis zur Betäubung von der See umhergeschleudert worden zu sein, der Geschmack und der Geruch, das alles berauschte ihn so sehr ..."


Der Titel des Buches bezieht sich auf ein gleichnamiges Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal.
Ich überlege, auch dieses zu lesen.


"Das Missverständnis" von Irène Némirovsky


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Yves, dreißig Jahre, wohnhaft in Paris, lernt an der französischen Küste Denise kennen. Sie ist ist verheiratet, wohlhabend und hat einen kleinen Sohn. Am Urlaubsort kommen die beiden sich näher. Später, als die beiden wieder in den Alltag zurückgekehrt sind und ihr Verhältnis fortsetzen, erweist es sich nach und nach als nicht lebbar. Der Grund ist gar nicht mal, dass Denise verheiratet ist, sondern, dass sie in einer anderen Gesellschaftsschicht lebt. Sie hat in ihrem Leben immer alles bekommen, ihre Tage sind voller Luxus und Müßiggang, während Yves für seinen Lebensunterhalt hart arbeiten muss. Die beiden haben unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Liebe. Es ergeben sich Missverständnisse, bis "Das Missverständnis" zur Trennung führt.

... das bewegte Herz

Man möchte meinen, es sei die verpasste Liebe, die mein Herz berührt hat. Aber nein. Es ist Yves, der aus dem engen stumpfsinnigen Leben des Büroangestellten raus möchte. Sein Traum ist es, zusammen mit seinem Freund in Finnland an einer Eisenbahnlinie zu bauen. Körperliche Arbeit, herrliche klare Luft, dichte Wälder, transparente Seen, Holzhaus, Stille, Freiheit und abends müde Glieder wie ein Arbeiter, aber das Herz frei und glücklich ...

... ein Zitat

"Und unterdessen rücken die Minuten auf dem Zifferblatt vor, schnell, immer schneller, wie tückische kleine Nagetiere, die sich, jedes mit einem Fetzchen Leben im Maul, davonstehlen."


... die Sprache

Bilderreich, warm, elegant.

Mittwoch, 19. Februar 2014

"Dieses Buch gehört meiner Mutter" von Erich Hackl


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Erich Hackl greift nach Erinnerungen seiner Mutter und trägt sie in mehreren Szenen zusammen. Die Mutter wächst in einem kleinen Dorf in Oberösterreich auf, so dass es ein Landleben ist, das hier bilderreich entworfen wird. Es sind Kleinodbeschreibungen, die von viel Glück erzählen. Es gibt auch schmerzvolle Erinnerungen, doch der Ton des Buches bleibt stets ein leiser, egal ob von Freud oder Leid erzählt wird. Keine Anklage an die Verhältnisse. Das Leben so nehmen, wie es kommt.
Der Text ist optisch in Strophen gegliedert. Die Prosa liest sich dadurch fast wie Poesie.

... das bewegte Herz

Als die Mutter den Hofhund zurückholt, der von den Eltern an einen Schinder abgegeben worden war.

... die Sprache

Eher kurzgefasste Sätze, aber inhaltlich reich. Man empfindet eine Wonne beim Zuhören.

... ein Zitat

Auf dem Dachboden alte Bücher finden.
Neben dem Fluder kleine Wasserräder laufen lassen.
Beim Brotbacken helfen.
...
Wenn es regnet, trocken bleiben.
Zum Essen sich Zeit nehmen dürfen.
Früh ins Bett gehen dürfen.
Beten.
Einen Schutzengel haben.
Ein gutes Wort hören.
Sich freuen.

"Krieg und Frieden" von Lew Nikolajewitsch Tolstoi


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Tolstoi rückt die russische Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt. Dieser seitenstarke Roman konzentriert sich auf die napoleonischen Kriege und das Leben des russischen Adels in Moskau und Petersburg. Es ist die Chronik dreier Familien. Im Mittelpunkt stehen Pierre Besuchow und Andrej Bolkonskij, deren Leben stark von Kriegserlebnissen geprägt ist.

... das bewegte Herz

Wie der Krieg in den Seelen wütet und wie er aus den Menschen andere macht. Ganz neuer Blick auf's Leben, veränderte Einstellung zu dem, was Glück und Unglück ausmachen.

... die Sprache

Sehr schön in den philosphischen Betrachtungen, eher langweilig und -atmig in den militärischen Ausführungen. Etwas kitschig in der Liebe.

... ein Zitat

"Aber der reine und vollkommene Kummer ist ebenso unmöglich wie reine und vollkommene Freude."


"Schriftsteller!" von Jessica Durlacher


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Tirza Danz ist Schriftstellerin, leidet aber gerade unter einer Schreibblockade. Wie sie damit umgeht, vor allem, wie sich der Knoten löst, darum geht es in diesem Buch.
Das Ende wird als überraschend bezeichnet, ich konnte ihm aber nichts abgewinnen.
Insgesamt doch zu konstruiert und langweilig.

... das bewegte Herz

Kein bewegtes Herz.

... die Sprache

Hat mich nicht überzeugt. Einfach.

... ein Zitat

Keines.



Es ist erstaunlich, dass Jessica Durlacher so ein gutes Buch wie "Die Tochter" geschrieben hat. Man könnte meinen, es handele sich nicht um dieselbe Schriftstellerin.
"Die linkshändige Frau" von Peter Handke


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Peter Handke erzählt in diesem Buch die Geschichte einer Frau, die aus ihrer Ehe aussteigt. Der Verlauf ist ziemlich überraschend, denn zunächst gewinnt der Leser den Eindruck, dass Marianne und Bruno (als dieser von einer Geschäftsreise nach Hause kommt) sich recht nahe sind. Die Beweggründe der Frau sind nicht wirklich klar und man wird nicht recht warm mit ihr. Zweifelsohne bezweckt Handke genau das. Der Leser begibt sich auf den Weg durch das Buch und wartet auf Hinweise, die diese seltsame Frau näher beleuchten. Man wünscht sich Erhellungen, möchte die Frau gerne besser verstehen. Die Protagonisten sind seltsam unlebendig. Nachdem man anfangs die Motivation der Frau als sehr unbestimmt empfindet, hat man im Verlauf des Buches zumindest den Eindruck, dass die Trennung der Frau gut tut.

... das bewegte Herz

Kein bewegtes Herz.

... die Sprache

Sehr interessant, wie er mit Hilfe der Sprache Distanz schafft, wie er die Kommunikationsunfähigkeit treffend pointiert.
Sprachlich überraschend gut.

... ein Zitat

"Meint ihr, was ihr wollt. Je mehr ihr glaubt, über mich sagen zu können, desto freier werde ich von euch. Manchmal kommt es mir vor, als ob das, was man von den Leuten Neues weiß, zugleich auch schon nicht mehr gilt."




Da es sich bei diesem  Buch nur um eine Erzählung von hundert Seiten handelt, ist es schnell gelesen. Die Rätselhaftigkeit schien mir dann sogar recht reizvoll.
Es war mein erstes Buch von Peter Handke.
Am Ende des Buches gibt es ein Zitat aus dem Werk "Die Wahlverwandschaften" von Goethe. Ich nehme mir vor, es zu lesen.


"Es geht uns gut" von Arno Geiger


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im Mittelpunkt steht Philipp Erlach, der sein Leben nicht so recht auf die Reihe bekommt. Nach dem Tod seiner Großmutter erbt er die Familienvilla in Wien und begibt sich ans Aussortieren. Das fällt ihm schwer, da jeder Gegenstand, den er in die Hand nimmt, ein Stück Familiengeschichte hat.
In Rückblenden kommen weitere Familienmitglieder zu Wort, deren Geschichte ebenso gegenwärtig erzählt wird wie Philipps Entrümpelungsaktion. Nach und nach lernt man die Familie über einige Generationen kennen, liest von Zerrüttungen und Enttäuschungen und ahnt, dass nicht nur Philipp ein wenig Tatkraft fehlt.

... das bewegte Herz

Das Gefühl, im Leben irgendwo falsch abgebogen zu sein. Vertane Chancen, die nicht wiederkehren. Alt werden.

... die Sprache

Sehr ansprechend, man liest sie gerne. Meist ist sie von Leichtigkeit (lässt sich gut lesen), aber dabei trotzdem nicht schlicht. Lebendig.

... ein Zitat

" ... das Wiehern der Pferde und der Nachhall der nackten Kinderfüße auf dem Boden geistern noch, jedes Geräusch isoliert in einem eigenen Gedanken, durch die allmählich austrocknenden Gehirne, Erinnerungsstaub, der sich zurück in die Substanz der Ereignisse setzt, weil weder Luft noch Zeit ihn allzulange tragen."


"Sturm" von Ernst Jünger


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Sturm ist Leutnant an der Front im ersten Weltkrieg. Er und zwei weitere Zugführer sind im Schützengraben jeden Tag mit dem Tod konfrontiert. Während der Gefechtsruhen versuchen die drei sich in Gesprächen vom Krieg abzulenken. Sie wollen sich an irgendwas festhalten können und schlüpfen in literarischen Texten, die Sturm selber verfasst hat, in andere Welten, fernab von den Schützengräben und dem gegenwärtigen Tod. Es ist die Flucht in die Literatur. Letztere lenkt die Gedanken in eine Welt fern vom Krieg.

... das bewegte Herz

Wie es gelingt, den Schützengraben für eine Zeitspanne zu verdrängen. Das, was Literatur hiermit möglich macht: Eintauchen in einen Text und um sich herum alles vergessen. Im diesem Buch erfährt das natürlich eine Steigerung: sogar im Angesicht des Todes lassen die Männer sich gedanklich entführen!

... die Sprache

Wunderbar, ganz reich. Mit vielen Metaphern. Die Schönheit der Natur wird schillernd beschrieben. Ein wahrer Schatz an Sprache.

... ein Zitat

"Dagegen schwangen Wolken von Distelfaltern sich um blitzblaue Blütenkörbe, silbergefleckte Bläulinge und die von ihnen unzertrennlichen Dukatenfalter spielten um die grünlichen Wassertümpel, die sich in den Granattrichtern gesammelt hatten."

Sonntag, 16. Februar 2014

"Wir Tiere" von Justin Torres


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Es ist die Geschichte dreier Brüder, die in einer Familie voll vermeintlicher Liebe aufwachsen. Aber so wie die Eltern lieben, so üben sie auch Gewalt aus, fügen sich und den Kindern Verletzungen zu und es ist die Seele der Jungen, die am meisten leidet. Das Schlimme dabei ist, dass es für sie zur Normalität wird und sie sogar beginnen ihren Vater in seinen unkontrollierten Handlungen zu kopieren.
Die drei Brüder bilden eine Gemeinschaft. Bis der Junge mit der Erzählerstimme ausbricht: er liebt die Sprache, schreibt Tagebuch und möchte was lernen, ist wissbegierig.
Am Ende gerät er aber in Schwierigkeiten und die Familie kann ihn nicht auffangen. Dieses finale Szenario habe ich zweimal gelesen und konnte es nicht fassen.

... das bewegte Herz

Dass Glück und Verzweiflung so nah beieinander liegen können.

... die Sprache

Die Sprache ist manchmal knallhart, aber sehr, sehr gekonnt eingesetzt. Stimmungen werden wunderbar durch sie wiedergegeben.

... ein Zitat

"Sie flüsterte mir das alles zu, ihr Bedürfnis war so groß, nirgendwo gab es Zärtlichkeit, nur Paps und Jungs, die wie Paps wurden. Es waren nicht nur die gegurrten Worte, auch die Feuchtigkeit ihrer Stimme, der Hauch von Schmerz, die Wärme ihrer Prellungen, die einen Funken in mir auslösten."
"Islandfischer" von Pierre Loti


Es bleibt in Erinnerung ...


... die Story

Erzählt wird die Geschichte von Gaud und Yann. Letzterer ist Fischer im Meer vor Island. Er fühlt sich eins mit Gischt und Wind und immer wieder stellt sich die Frage, ob seine große Liebe dem Meer oder Gaud gilt, seiner Frau. Gaud wohnt in Paimpols  an der bretonischen Küste und wartet nach der Hochzeit auf seine Rückkehr.

... das bewegte Herz

Zu Herzen geht die wunderschöne Sprache.

... ein Zitat

"In einer Augustnacht, im Tosen eines entsetzlichen Sturms wurde dort oben vor dem düsteren Island eine Hochzeit mit der See begangen.
Mit der See, die zuvor auch seine Ernährerin gewesen war, die ihn gewiegt hatte, die ihn groß und kräftig hatte werden lassen und die ihn dann ... wieder zu sich genommen hat, um ihn ganz alleine für sich zu haben."

... die Sprache

Dieses Buch ist eine Liebeserklärung ans Meer und "malt" wunderbare Bilder. Es beschreibt Stimmungen so poetisch wie selten ein Buch, nimmt den Leser mit auf Reisen in eine mythische Landschaft. Seien es zarte Lichtspiegelungen oder raue stürmische Böen, immer erfreut die Sprache.



Es wundert mich zu lesen, dass Pierre Loti als Klassiker geführt wird. Warum hat man vorher noch nie von ihm gehört?






"Ein diskreter Held" von Mario Vargas Llosa


Es bleibt in Erinnerung ...


... die Story

Eigentlich geht es sogar um zwei Helden, zwei ältere Männer in Peru, die versuchen, unbeirrt ihren eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Sympathische Sturköpfe, denen es wichtig ist, ihre Würde zu bewahren. Felicito Yanaque setzt sich gegen die Mafia zur Wehr und Ismael lässt sich beirren und heiratet unter seinem gesellschaftlichen Stand die Haushälterin Armida.

... das bewegte Herz

Was Mario Vargas Llosa mal geäußert haben soll:
"Seit langem sage ich immer wieder, dass ich gerne schreibend sterben würde."

... ein Zitat

"Wozu hat es dir genutzt, dieses kleine Refugium mit Büchern, Bildbänden, CDs, all diesen erlesenen, feinen, intelligenten und schönen Dingen, die du so eifrig gesammelt hast in dem Glauben, hier wärst du geschützt vor der Unkultur, der Frivolität, der Dummheit und der Leere?"

... die Sprache

Von schöner Sprache, wenn ich auch der Meinung bin, dass Mario Vargas Llosa nicht mehr der Kunstschreiber ist, der er zu Zeiten von Tante Julia mal war ...
Ein bisschen Faszination scheint mir da verloren gegangen.