Montag, 30. März 2015

"Muldental" von Daniela Krien



Zur Leipziger Buchmesse habe ich im schönen Grimma gewohnt. Sehr gerne verknüpfe ich Lektüren und Örtlichkeiten, also wählte ich "Muldental" ...

Es bleiben in Erinnerung ...

... die Stories

Die Kurzgeschichten greifen die Schicksale von Menschen auf, die mit der Wende 1989 nicht wirklich glücklich geworden sind. In irgendeiner Form scheitern sie, sei es an falschen Erwartungen, Druck, Demütigung, sozialem Abstieg oder am Unvermögen, sich auf ein verändertes System einzulassen. Sie reagieren mit Resignation und Depression oder mit Wut und Gewalt.
Jede Geschichte ist mir nahe gegangen, denn es werden Verletzungen geschildert, mit denen der Mensch nur schwer leben kann. Ehen zerbrechen, Familien lösen sich auf, Kartenhäuser der Zukunft fallen zusammen. Aber einige wären vielleicht auch ohne die Wende gestrauchelt. Trotzdem: schöne Auswahl an persönlichen Werdegängen. 

... die Sprache

Kurze Sätze, die sitzen. Knappe Sprache mit einem Gespür für das Wesentliche. 

... ein Zitat

"Sie begrüßte den Westen wie einen lang erwarteten Gast, dem man nur das Beste vorsetzt, weil man ihn so schrecklich vermisst hatte und er nun endlich da war. Sie warf ihm nicht nur Geld, sondern auch eine Menge gute Gesinnung in den gierigen Schlund, wie er fand, und schließlich schlug sie gänzlich über die Strenge und wurde körperlich. Das heißt, sie verschenkte auch noch ihren Körper an einen aus dem Westen Zugezogenen ..."

... das bewegte Herz

Marie, die Informationen an die Stasi weitergibt, um die teuren Medikamente für ihren Mann Hans bezahlen zu können. Otto, der sich mit Wilthener Goldkrone tröstet. Gunnar, der in seiner Kindheit nur Ablehnung erfahren hat und  Ludwig, der seine kranke Schwester Almut nach achtundzwanzig Jahren nachhause holt. 

Samstag, 28. März 2015

"Zwei Herren am Strand" von Michael Köhlmeier

"Sie hatten einander die Tage geschildert, in denen sie von Mächten gekrümmt wurden, die nicht von dieser Welt waren."




Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Einstige Begegnungen zwischen Charlie Chaplin und Churchill sind schriftlich und photographisch belegt. Michael Köhlmeier greift auf diese historischen Funde zurück und bedient sich zusätzlich geistreicher Phantasie, um dem Leser Einblick zu schenken in eine ganz besondere Freundschaft. Die beiden Männer waren nicht nur vereint in ihrem Kampf gegen Adolf Hitler, sondern auch in ihrem Ringen mit dem "schwarzen Hund", wie Winston Churchill seine Depressionen nannte, die ihn manchmal wie eine plötzlich auflauernde Bestie bedrohten. Der Politiker und der Regisseur verabreden sich über die Jahre hinweg immer wieder, um sich gegenseitig zu stützen und sich darüber auszutauschen, wie trübe Gedanken und Selbstmordabsichten zu vertreiben seien. Das erste Mal kommen die beiden sich bei einem Strandspaziergang näher, was zum Titel dieses Buches geführt hat.
Dieses Verschränkung von Wirklichkeit und Fiktion macht einen großen Reiz dieses Buches aus. Beides wird gekonnt verwebt und der Leser erhält das Gefühl, dass es genauso gewesen sein müsste... 
Man gerät in einen Sog der Erzählperspektiven, bleibt wach und hochsensibel, was den weiteren Verlauf betrifft. Der Autor trifft das richtige Maß an dem, was er über die Freundschaft preisgibt. So in sich verschlossen und ausschließlich die beiden Männer ihre schwarzen Tage miteinander teilen, so muss auch der Leser im rechten Moment außen vor bleiben. Hier wird keine Seelennot ausgeschlachtet, sondern eine Freundschaft liebevoll beleuchtet, die großen Halt gegeben hat.  

... das bewegte Herz

Churchills Kindheit bewegt sehr. 
Und wie die beiden Männer mit dem schwarzen Hund ringen und Wege suchen, ihn loszuwerden.
Die unvergleichliche Freundschaft.
Ich erinnere mich auch gerne an die Szene, als Charly Chaplin Churchills Tochter Sarah kennen lernt und tief bewegt ist ob der Zärtlichkeit zwischen Vater und Tochter.

... ein Zitat

"Chaplin wusste also Bescheid über Churchills immer wiederkehrenden Gemütszustand finsterer Ausweglosigkeit- den "schwarzen Hund", wie Samuel Johnson diesen Bastard aus fehlgeleiteten Impulsen und verpantschter Gehirnchemie genannt hatte. Er wusste, dass Churchill, der Inbegriff britischen Draufgängertums, immer wieder in den Zwinger der Bestie hineingeriet, ohne dass er vermocht hätte, dagegen Vorkehrungen zu treffen ... Mit niemandem, auch nicht mit seinen Ärzten, hatte Churchill je ausführlicher und ehrlicher über dieses Leiden gesprochen."

... die Sprache

Angemessen still. Zart und präzise. Und doch sehr einnehmend. Die Sprache eines großen Erzählers.

Mittwoch, 18. März 2015

"Butcher's Crossing" von John Williams

"Es gelang ihm nicht, sich ein Bild von sich selbst zu machen."



Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Will Andrews unterbricht in noch jungen Jahren sein Studium in Harvard und fährt nach Butcher's Crossing, einem kleinen Städtchen in Kansas, das in der Hauptsache von der Büffeljagd lebt. Große Büffelherden ziehen durch die Täler und Jäger machen sich auf, sie zu jagen und ihre Felle gewinnbringend zu verkaufen. Andrews reizt es mitzuziehen, will Frei- und Wildheit spüren, sich in die unberührte Natur begeben und sein vorheriges Leben, "das weder frei noch gut oder lebendig war" hinter sich lassen. Mit drei weiteren Männern startet er, sie nehmen ihn als Unerfahrenen mit, da er bereit ist, alles zu finanzieren. Ein Abenteuer mit vielen Strapazen und Gefahren beginnt, seien hier nur Wasserknappheit und später im Jahr der überraschende Wintereinbruch zu nennen. Als die Büffel aufgespürt sind, erweist sich für Andrews das Jagen und Häuten derselben als kaum zu bewältigende Kraftanstrengung.
Der Anfang des Buches hat mich sehr beeindruckt. Ein Harvardstudent, der seine sichere Existenz verlässt und sich den Elementen stellt, an Grenzen stößt, ums nackte Überleben kämpft. Aber zeitweise ermüdete ich beim Lesen, wollte nicht noch und noch einen Büffel häuten und Andrews Gleichmut regte mich auf. Zumal er doch schon recht bald die Vernichtung der Büffel "als kalte, hirnlose Reaktion" erkennt. 
Bekennend nimmt Andrews aber erst nach ihrer Rückkehr die "Leere" und "das hohle Glitzern" in den Augen der Männer wahr, mit denen er in der Wildnis Lager und Arbeit geteilt hat. Und es stellt sich für ihn die Frage, in Butcher's Crossing zu bleiben oder wieder mal aufzubrechen in die nächste "ungefähre Richtung".

John Williams möchte in seinem Werk das Unvermögen aufzeigen, die Natur sinnlich zu erfahren, wenn der Mensch sich über sie stellt und sie ausschlachtet. Alle Schönheit verliert sich, wenn es um Gier und Geld geht. Das gelingt dem Autoren meiner Meinung nach ganz meisterlich. 

... das bewegte Herz

Wenn Andrews uns in sein Inneres gucken lässt und wir teilhaben können an dem, was ihn bewegt.

... ein Zitat

"Er glaubte- und dies schon seit geraumer Zeit-, dass es in der Natur einen feinen Magnetismus gäbe, der ihn, wenn er sich ihm denn unbewusst überließe, auf den rechten Weg führte und dem es auch nicht gleichgültig wäre, welche Richtung er einschlüge. Allerdings spürte Andrews, wie sich ihm die Natur bereits in jenen wenigen Tagen seines Aufenthalts in Butcher's Crossing so rein darbot, dass ihre zwingende Kraft stark genug war, seinen Willen, seine Gewohnheiten und sein Denken entscheidend zu beeinflussen."

... die Sprache

Sehr unaufgeregt und präzise und nicht so kaltblütig, wie die Geschichte vermuten lässt. In den Momenten, in denen wir Andrews Gedanken lauschen, erfahren wir eine sehr berührende, warme Sprache. 

... mein Fazit

Man muss den Roman mit soviel Ruhe angehen, wie sie auch Andrews aufzubringen vermag. Dann kann "Butcher's Crossing zu einem Lesegenuss werden.

Montag, 9. März 2015

"Die Sprache der Vögel" von Norbert Scheuer

"Vielleicht kommt es im Leben nur darauf an, irgendetwas zu finden, bei dem alles andere in Vergessenheit gerät."



Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Paul Arimond, dreiundzwanzig Jahre alt, meldet sich 2003 freiwillig bei der Bundeswehr, um in Afghanistan als Sanitäter zu dienen. Dem kargen Land kann er viel abgewinnen, da seine Leidenschaft darin besteht, Vögel zu beobachten und er dort eine reiche Vogelwelt vorfindet. Es ist überliefert, dass schon sein Urahn Ambrosius im 18. Jahrhundert am Hindukusch ornithologische Studien betrieb und Paul ist nun gleichsam fasziniert. 
Der Alltag im Lager ist schwer zu ertragen, viel Unmut, Spannung und Todesangst führen an der Rand der Belastbarkeit. Paul ist nicht nur ein guter Vogelbeobachter, sondern hat auch seine Kameraden im Blick. Einer von ihnen rutscht ob all der Schrecken in den Wahnsinn. 
Als Sanitäter muss Paul nicht nur Leben retten, sondern auch alle Verletzungen protokollieren. Es ist nicht das einzige Notizbuch, das er führt. In einem anderen, ganz privaten, hält er alle Vogelerkundungen in Afghanistan fest, sind es Gesang, Verhalten, Flugbild und Gefieder. Auch sammelt er Federn auf und klebt sie zu den Aufzeichnungen. Dies ist ihm ein Trost im Kriegsgeschehen, schenkt ihm Ruhe und Abstand. Die Passion nimmt ihn ein, bringt Zerstreuung und lässt Not und Bedrückung vergessen. 
"Es tröstet mich ...."

Nicht nur das Geschehen vor Ort möchte er verdrängen, auch gibt es zurückliegende Ereignisse in seinem Wohnort Kall in der Eifel, die ihn nicht ruhen lassen wollen. In vielen Einblenden erfährt der Leser nach und nach, was geschehen ist. 

Norbert Scheuer hat hier ein ganz waches Buch geschrieben, das gleichzeitig viel Ruhe schenkt. Was dem Protagonisten Paul Frieden bringt, kommt auch bei mir, der Leserin, an.
Die Sprünge in Zeit und Geschehen lassen mich die Handlung gebannt verfolgen. Alles ist schlüssig und setzt sich harmonisch zusammen.
Die Vogelzeichnungen, gefertigt vom Sohn des Autoren, sind eine zarte Augenweide und runden das ganze Werk ab. 

... das bewegte Herz

Paul auf der Suche nach sich selbst. Seine Liebe zu den Vögeln, die ihn den inneren und äußeren Kriegsschauplatz zeitweise ausblenden lassen.
Zudem hat mich bewegt, wie Pauls Vater sein Ziel verfolgt. Es stimmt traurig, aber der Autor schafft hier unvergessliche Szenen.

... ein Zitat

"Nach dem Dienst noch eine Besprechung zum morgigen Einsatz. Wir werden eine Woche unterwegs sein, bis zur pakistanischen Grenze. Es ist sehr gefährlich da unten. Erst vor Kurzem wurde eine englische Patrouille in diesem Gebiet angegriffen, die Fahrzeuge des Konvois wurden von Aufständischen mit Sprengfallen und Minen zerstört. Ich werde bei diesem Einsatz wohl nicht dazu kommen, Vögel zu beobachten und Notizen zu machen."

... die Sprache

Sie ist eher einfach und doch bestechend. Sie passt zu Paul, der versucht, sich das Leben einfach und plausibel zu erklären. Beobachtet er die Vögel, verändert sich etwas. Dann schwingt sich die Sprache auf zu Schönheit und Poesie.

Der Roman steht auf der Shortlist für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. Ich drücke Norbert Scheuer die Daumen!

Donnerstag, 5. März 2015

"Die Ländersammlerin" von Nina Sedano

"Viele Grenzen habe ich bis heute überschritten- nicht nur Ländergrenzen."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Bereits mit dreizehn Jahren wird Nina Sedanos Reiseleidenschaft geweckt. Die Anfänge liegen in einem Schüleraustausch, später folgen individuelle, zum großen Teil selbstorganisierte Touren in fremde Kulturen. Zunächst versucht sie nebenbei zu reisen, spart Geld und Urlaubstage zusammen, um möglichst viel unterwegs sein zu können. Schließlich aber kündigt sie ihre Beschäftigung und setzt sich das Ziel, alle 193 Staaten der Vereinten Nationen zu bereisen. Mit fünfundvierzig Jahren ist das Vorhaben geglückt und Nina Sedano fasst ihr Globetrottertum in vorliegendem Buch zusammen.

Mir scheint, sie hat wirklich in der Hauptsache gesammelt, so wie der Titel schon besagt. Ich habe leider Tiefe und Herzblut vermisst und hätte mir weniger Belangloses gewünscht. Muss ich wissen, wie sie im Flugzeug Hühnchen isst?

... das bewegte Herz

Nina Sedano ist nicht wirklich mit dem Herzen dabei. So blieb auch ich erstaunlich ungerührt. Was mich einzig bewegt hat, ist das Cover.

... ein Zitat

"Ich möchte reisen, die Welt entdecken, alles selbst erleben und selbst erfahren, riechen, schmecken und hören, meinen Horizont erweitern, in fremde Kulturen eintauchen und versuchen, die Menschen besser zu verstehen. Wenn ich unterwegs bin, kenne ich keine Einsamkeit. Auch Heimweh ist mir fremd. Nur zu Hause, in den eigenen vier Wänden, fällt mir manchmal die Decke auf den Kopf und dann packt mich das unendliche Fernweh."

... die Sprache

Recht einfach. So wie die Reisen aneinandergereiht sind, so sind es auch die Sätze. Sehr schlicht. Nicht von schönem Ausdruck. Die ein oder andere Beschreibung gelingt, doch dann fällt Nina Sedano wieder ins Platitüdenhafte.

Fazit: keine Leseempfehlung!



Montag, 2. März 2015

"Große Liebe" von Navid Kermani

"Das erste Mal hat er mit fünfzehn geliebt und seither nie wieder so groß."



Es bleibt in Erinnerung ...

... ein Zitat

"Seltsam, wie sich die Zärtlichkeit, die er für die Schönste empfand, auf den Schulhof übertrug, der nicht mehr die verhasste Teerwüste zwischen Betonsilos war, sondern jedenfalls in den großen Pausen ein Menschenquirl voll von Stimmen, Bewegungen, Farben. Erstmals achtete er auf die Bäume, deren Frühlingsgrün seinen Zustand versinnbildlichte, fand selbst das Gebüsch hinter der Raucherecke mystisch und stand am Flussufer wie vor einem Quell des Lebens ... während er auf die Schönste wartete: die Vögel, deren Gesang den Straßenlärm vertrieb, die Margeritchen, die fröhlicher als auf jeder Bergwiese zwinkerten, die Sonne, die sich zugleich auf dem Wasser glitzernd spiegelte und innerlich, in der Brust, im Bauch, bis hinab zu den Zehen ihn mit Wärme erfüllte."

... die Story

Navid Kermani geht in seinen Erinnerungen dreißig Jahre zurück und ruft seine damaligen Gefühle auf. Als Fünfzehnjähriger erlebte er seine erste große Liebe und verherrlicht sie als überhaupt die bislang größte in seinem Leben. Auf dem Schulhof seines deutschen Gymnasiums war die Liebe zu der bereits neunzehnjährigen Jutta erwacht, ein Mädchen, das ihm zunächst unerreichbar schien, die ihn aber doch erhörte. 
Erinnert er maßgebend das erlebte Glück oder stehen vielmehr abrupte Zurückweisung und Trennungsschmerz im Gefühlsfokus?
Die Schöne nämlich verschmäht ihn nach nur drei gemeinsamen Nächten, verleugnet ihn, nachdem sie ihn "unter indisch anmutenden Decken" in die Liebe eingeführt hat.
Navid Kermani, in Deutschland geboren, ist iranischer Abstammung, promovierter Orientalist und inzwischen Autor einiger Werke. Seine Liebe gilt der persischen und arabischen Literatur, vor allem ihrer Mystik und Weisheit und er nutzt diese, um seine pubertären Erinnerungen zu beleuchten.
Der erwachsene Kermani findet sich so wieder "im Land seiner Lieblingslektüren". Es fesselt ihn, das Eintauchen in die von ihm sehr geschätzten Schriften, und die kindlichen, oft peinlichen Erfahrungen werden auf diese Weise in etwas Höheres gestellt und so überhaupt erst erwähn- und gestehbar. 

... das bewegte Herz

Die Beziehung von Navid Kermani zu seinem Sohn in der Jetztzeit. Das Herantasten im Versuch Verständnis für ihn aufzubringen und die beängstigende Vermutung, der Junge könnte verliebt sein... der Autor hat es schließlich selber erlebt ... damals 1983.


... die Sprache

Poetisch in der arabisch- persischen Mystik. Eher hölzern, wenn der junge Kermani und die Schöne sich im ersten Liebesakt versuchen. 
Mir gefällt, wie Navid Kermani die damalige Zeit in Wörtern aufleben lässt: Birkenstock, Strickpullover, Latzhose, Räucherstäbchen und die Picassotaube an der Wand. Zeit der Friedensbewegung.
Gehobene Sprache, in Endlossätze gepackt. Langer Atem erforderlich!


Aber es lohnt! Außergewöhnlicher Ansatz, besondere Lektüre!