Samstag, 28. November 2015

"Maschenka" von Vladimir Nabokov


"Das knospende Bild wuchs und saugte den ganzen sonnigen Zauber des Zimmers in sich auf ... "

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im Jahr 1924 leben sechs russische Emigranten gemeinsam in einer Pension in Berlin. Lev Ganin, einer von ihnen, verdient sich sein Geld als Statist im Filmgeschäft. Er geht es etwas lustlos an und hadert darüberhinaus mit seiner Geliebten Ljudmila, von der er sich gerne trennen möchte. Ganins Zimmernachbar Alfjorow dagegen straht vor Glück, denn er erwartet die Ankunft seiner Frau Maschenka in Berlin. Auf Fotos erkennt Ganin in ihr seine Liebe aus Jugendtagen. Er gibt sich daraufhin Erinnerungen hin, denkt vor allem an ihre Treffen in einem Park im nördlichen Russland, sieht wieder den "lächelnden Glanz ihrer Augen" und fühlt, "wie heftig und wie strahlend man einmal geliebt hat."
Erfüllt von diesem zitternden Glück, plant er, Maschenka am Berliner Bahnhof zu treffen und sie ungeachtet ihres Ehemannes zurückzugewinnen.
Doch alles kommt anders, so als wäre Vergangenes vergangen und müsste es auch bleiben. 
Er fühlte also lediglich in Gedanken nochmal eine Liebe für vier Tage, mehr nicht ...
"Maschenka" ist das Débutwerk von Vladimir Nabokov und der große Meister entfaltet sich bereits hier in vollem Umfang. Ausdrucksstark auf eher wenigen Seiten. Das, was Nabokov ausmacht, lässt sich bereits in diesem Erstling erfahren. 
Tolles Buch! Unbedingte Leseempfehlung!

... das bewegte Herz

Ganins gegenwärtiges Unglück. Seine Ruhelosigkeit. Die zärtlichen Erinnerungen.

... ein Zitat

"Nur sein Schatten hauste noch in Frau Dorns Pension; er selbst hingegen war in Russland und durchlebte seine Erinnerungen, als ob sie Wirklichkeit wären ... Es war nicht einfach nur ein Wiedererinnern, sondern ein richtiges Leben, das viel wirklicher, viel intensiver war als das seines Schattens in Berlin: ein märchenhaftes Abenteuer, das sich mit ernster, zarter Behutsamkeit entspann."

... die Sprache

Unübertroffen, fast so, als würde er Sprache malen, wunderbar bildhaft. Hochpoetisch und zärtlich.
Die Beschreibung "stallmistfarbener Bart" war allerdings etwas gewöhnungsbedürftig ...


Freitag, 20. November 2015

"Die Manon Lescaut von Turdej" von Wsewolod Petrow



                  "Ich hatte eine Katastrophe erwartet und sie damit heraufbeschworen."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Ein Offizier ist zusammen mit Ärzten und Krankenschwestern in einem Lazarettzug auf dem Weg zur Kriegsfront. Die Reise führt diese skurrile Gesellschaft durch weite russische Wintergefilde. Der Icherzähler wirkt entspannt, liest meist Goethe oder wärmt sich am Ofen. Auf engem Raum zusammengepfercht beobachtet man die Reisegenossen und so verliebt er sich in Vera, eine etwas leichtlebige Krankenschwester mit "Ungestüm und Raffinesse" im Blick. Er nennt sie in seinen Tagträumen Manon Lescaut, sieht in ihr das französische Mädchen aus dem gleichnamigen Roman von Abbé Prévost, veröffentlicht 1731. Zunächst hält er es selber für möglich, dass Vera ihn nur "rein literarisch" interessiert, aber schlussendlich beginnen die beiden eine tragische Liebesbeziehung.
Im Anschluss an die Novelle finden sich im Buch Erläuterungen und eine Interpretation, die dem Leser die Augen für Zusammenhänge öffnen. Dadurch erst hat sich mir das Werk wirklich erschlossen und ich habe dessen Schöngeist erkannt. Es ist ein literarischer Kunstgriff, die "Heldin" eines großen Meisterwerks nochmal aufleben zu lassen. Petrow verneigt sich hier vor einem Klassiker und dessen Frauenfigur.

... das bewegte Herz

Mich bewegt die Faszination, die von der Figur der Manon Lescaut ausgeht. Viele Autoren greifen sie in ihren Werken auf. So auch Petrow, der offensichtlich entzückt ist von dieser betörend verführerischen Femme Fatale.
In der Literatur findet sie unter anderem Erwähnung bei Dumas, Wilde, Stendhal und Salter.
Aber auch in Verfilmungen und Vertonungen erliegen ihr viele männliche Protagonisten.
Eine Figur von klassischer Größe!

Hingegen berührt mich die Liebesgeschichte für sich in dieser Novelle eher nicht. Ich begegne zwei sehr interessant (da rätselhaft) gezeichneten Protagonisten, aber sie gestatten mir keine Nähe. Und ihr Liebesgeflüster ist eher banal und austauschbar.
"Ich habe nur dich allein geliebt und werde dich mein ganzes Leben lieben."

... ein Zitat

"Das Licht kam nur vom Ofen. Aus der Dunkelheit hörte man Schnarchen und Atmen. Ich setzte mich ans Feuer und saß still, ohne Gedanken, und fühlte, wie die Zeit stehengeblieben war- nichts bewegte sich, nichts änderte sich, und alles war nur von sich selbst erfüllt, wie in der Malerei: dort siehst du ebenfalls die bewegungslose Daseinsfülle jedes Dings, das gegen die Zeit und gegen Veränderungen gefeit ist."

... die Sprache

Sprachlich überzeugend. Weiche Poesie. Still und zart, gar im Angesicht des Todes.

Mittwoch, 18. November 2015

"Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte" von Lars Saabye Christensen



                                  "Es gibt nicht immer ein andernmal."

Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Im ersten Teil des Romans verbringt der fünfzehnjährige Chris mit seiner Mutter den Sommer auf einer Insel vor Oslo. Es sind die Tage der ersten Mondlandung im Jahre 1969 und Chris, der gerne schreibt, möchte daher auf seiner Remington dem Mond ein Gedicht widmen. Doch es bleibt bei der Überschrift, denn Chris fehlen Ruhe und Inspiration. Viele Gedanken liegen "in dicken Stapeln" in seinem Kopf, er sinnt über so vieles nach, vor allem über sich selber und seine Freunde, aber auch die Mutter lässt ihn grübeln. Liebevoll beobachtet er sie und hat den Eindruck, sie sehne sich nach etwas nicht Greifbarem. Am Tag der Mondlandung kommt es zu einem dramatischen Zwischenfall auf der Insel und Chris kehrt in die Stadt zurück, um wieder zur Schule zu gehen.
An dieser Stelle haben wir es in dem Buch mit einem Bruch zu tun Ungerne verlasse ich Chris und muss mich auf Frank einstellen, Mitte dreißig und in Karmack, einer amerikanischen Kleinstadt, als Übermittler tätig. Kommt es zu Unfällen und Gewaltdelikten, ist es Franks Aufgabe, die Angehörigen aufzusuchen und ihnen die schlechte Nachricht zu überbringen. Frank und Chris sind sich in ihrer Grübelei ähnlich und sie lassen den Leser ob ihrer merkwürdigen Gedankengänge oft schmunzeln. Ernste Szenen kippen ins Urkomisch- Drollige und selbst zu Gewalt und Tod gesellt sich ein humoriger Aspekt. In diesem Buchteil ist es mir fast zu überzogen. Doch der Leser muss sich gedulden, denn es folgt ein Epilog, der das komplette Buch in einen neuen Zusammenhang stellt. Das ist vom Autoren genial konzipiert. Wir begegnen wieder Chris, der nun schon an die sechzig Jahre endlich Wohlgefühl und Erfolg im Schreiben gefunden hat. "Das Geräusch der Tasten erfüllte mich mit Dankbarkeit."
Die Figuren erscheinen in einem anderen Licht, alles setzt sich neu zusammen und der Leser steht fasziniert vor dieser Buchschöpfung.

... das bewegte Herz

Chris und Frank bewegen, wenn sie ihre Fragen ans Leben richten, alles bedeutungsvoll erforschen, seien es Freundschaft, das Erwachsenwerden, das Normal- oder Anderssein, das Scheitern oder die Trauer. Sie sind  tiefsinnig und erfrischend zugleich, rühren an. Und die ideenreichen Metaphern schaffen tolle Bilder.
"Jetzt würde das Leben auf den Kopf gestellt, und das war, als hätte man einen Stein umgedreht, du ahnst nie, was darunter zum Vorschein kommt."

... ein Zitat

" Mutter drückte ihre Zigarette vorsichtig im Aschenbecher aus, ein bisschen Glut flog auf, und der Rauch glitt langsam fort, während ihr Gesicht näher rückte. Ob ich jetzt, zur schreibenden Stunde, wie es heißt, meine Mutter so sehe und versuche, in ihren Gesichtszügen zu lesen, oder es damals, am Abend der Mittsommernacht 1969 so war, das weiß ich nicht ... Aber die Menschen, die uns am nächsten stehen, ziehen sich zurück, wenn die Zeit zwischen sie und uns tritt, und die Erinnerung, dieser zerbrechliche und unbestimmbare Wasserspiegel, ist alles, an das wir uns lehnen und auf das wir vertrauen können."

... die Sprache

Gleichsam einfach und reich. Poetisch in den Versuchen, das Leben zu erklären.

Mittwoch, 11. November 2015

"Ein Tag des Glücks" von Isaac B. Singer


                                        "Liebe ist eine Art Wahnsinn."

Es bleiben in Erinnerung ...

... die Geschichten

In der Mehrzahl der Geschichten tritt Issac B. Singer als Icherzähler auf. In seiner Funktion als Ratgeber, Feuilletonist oder Redakteur einer jiddischen Zeitung sprechen die Menschen ihn an und schütten ihm ihre Herzen aus. Singer sieht sich in der Rolle des Zuhörers, fragt nach und stößt an, aber bewertet nicht. Der Leser erfährt von wundersamen Begebenheiten, in denen die Liebe als Wegweiser, große Chance oder Überraschung zu Tage tritt.
"Unsere Gefühle regieren uns. Sie fallen uns an wie Räuber und spotten all unseren Entschlüssen."
Die Geschichten spielen im jüdischen Leben und Glauben und entführen in eine Welt, die dem deutschen Leser fremd ist. Wir erfahren von Zeremonien, die bizarr anmuten, wie rituelle Waschungen, Sabattessen, Kaddisch und das Laubhüttenfest. Sie schenken den Geschichten einen großen Reiz, wie es das Fremdartige stets tut. Im Glossar des Buches sind alle Riten aufgelistet und erklärt, können also nachgelesen werden.

... das bewegte Herz

Bewegt hat mich, wie die Liebe als Teil eines großen alles umspannenden Gefüges betrachtet wird. Der Liebende wird oft gelenkt, das für ihn Beste geschieht auf seltsamen Wegen, erklärbar nur durch etwas Übernatürliches und Schicksalhaftes. Dabei kommt die Tragik nicht zu kurz. Manchmal ist es vorgesehen, dass der Mensch leiden muss.

... ein Zitat
(es gefällt mir, weil Bücher eine Rolle spielen)

"Mein Mann sprach dauernd nur vom Sparen. Um ehrlich leben zu können, muss man immer etwas für schlechte Zeiten zurücklegen. Wir sparten, was wir konnten. Nur was Bücher anging, war ich verschwenderisch. Kam ein Buchhändler in die Stadt, so kaufte ich alle jiddischen Bücher: Geschichtenbücher, einen Roman von Issak Meir Dick, Mendele Mocher Sforim, Scholem Alejchem, Perez und Scholem Asch. In unserem Dorf gab es eine kleine jiddische Bibliothek, und heimlich holte ich mir dort Bücher."

... die Sprache

Die Sprache ist die eines Nobelpreisträgers für Literatur (verliehen 1978) Auch wenn die Geschichten einfach gehalten sind, spürt man das Vermögen des Autors. 
Eine Hymne auf die jiddische Sprache. 

Dienstag, 3. November 2015

Ich verneige mich vor diesem Buch ...

"Der Schlachtenmaler" von Arturo Pérez-Reverte



"In Kriegen zeigt sich das deutlicher. Schließlich sind sie nichts anderes als das zu dramatischen Extremen gesteigerte Leben ..."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Nach dreißig Jahren Kriegsfotografie zieht Andrés Faulques sich an der spanischen Küste in einen alten Wachturm zurück und beginnt dort, ein riesiges Wandgemälde im Rund des Turmes zu entwerfen. In ihm versammelt er all die Kriegsszenen, denen er mit Blick durch seine Kamera auf der Spur gewesen war. Hinter dem Sucher war er Techniker und auch zu dem Gemälde hält er zunächst Distanz, betrachtet es als Möglichkeit, das Chaos seines Lebens zu sortieren. Wie groß sein Bedürfnis danach wirklich ist, stellt er in vielen tiefgründigen Gesprächen mit einem totgeglaubten Soldaten fest, der ihn im Turm aufsucht. Der Leser erfährt von einer tragischen Verbindung dieser beiden Männer im Kriegsgeschehen von Kroatien. Noch ein weiteres Rätsel löst sich nur nach und nach und zwar die Liebesbeziehung des Fotografen und Malers zu Olvido, einer siebenundzwanzigjährigen Italienerin. Der Leser weiß recht früh von ihrem Tod, die Umstände werden aber erst am Ende des Romans aufgeklärt.

... das bewegte Herz

In diesem Buch gibt es nichts, was mich nicht bewegt hätte. Die Szenen, in denen Faulques sich als Fotograf in weltweite Kriegsgebiete begibt und grausame Fotos macht, die sehr detailgetreu beschrieben werden. Die Liebe zu Olvido und an diesem Punkt ihre zarte Schönheit, die in so großem Kontrast zu den blutigen Kriegsschauplätzen steht. 
Faulques, wenn er an seinem Wandgemälde arbeitet oder im Gespräch mit dem Kroaten ist. Dieses Turmzimmer, das zum Ort der Wahrheit wird und die knisternde Anspannung, da der Kroate die Absicht hat, ihn umzubringen. Und die Ruhe, die am Ende einkehrt: "Die Dinge kamen, wann es sein musste. Zu ihrer Zeit und in ihrem eigenen Tempo".

... ein Zitat

"Der Mann, der dieses gewaltige Rundbild malte, diese Schlacht aller Schlachten, hatte einer solchen Struktur in vielen Stunden seines Lebens wie ein geduldiger Heckenschütze nachgespürt, auf einer Beiruter Terrasse genauso wie am Ufer eines afrikanischen Flusses oder an einer Ecke von Mostar, um auf das Wunder zu warten, das er auf einmal hinter der Objektivlinse, im dunklen- streng platonischen- Kasten seiner Kamera und seiner Netzhaut festbannen würde, das Geheimnis dieser äußerst komplizierten Verkettung, das das Leben so wiedergäbe, wie es wirklich war ..."

... die Sprache

Mein Herz ist auch deswegen so bewegt, weil Arturo Pérez-Reverte alles mit seiner unvergleichlich schönen Sprache in Szene setzt. Ob in der Gewalt oder in der Liebe: immer stilsicher. Und er versteht es auch, dem Leser eine Landschaft vorzuführen oder die Pinselstriche des Malers. Wortreiche intelligente Sprache mit viel Einfühlungsvermögen. Dialoge, während derer man den Protagonisten an den Lippen hängt.