Montag, 24. Juli 2017

"Wut ist ein Geschenk"
"Das Vermächtnis meines Großvaters Mahatma Gandhi"
von Arun Gandhi


"Als ich bei ihm im Ashram war, musste ich ihm versprechen, mich zu bemühen, 
jeden Tag etwas besser zu sein als am Tag zuvor."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Zwei Jahre lang hat Arun Gandhi bei seinem Bapuji (Großvater) im Ashram gelebt.
In elf Lektionen fasst er zusammen, was sein Großvater ihn liebevoll aber nachdrücklich gelehrt hat. Wut erkennen und lenken, eine Meinung vertreten, in sich ruhen, bei der Wahrheit bleiben, auf Gewalt verzichten und ganz bewusst das Glück wahrnehmen. Die Sicht des Kindes damals und die Weisheit des heutigen Erwachsenen geben eine Entwicklung wieder, in der Arun nie aufgehört hat, an sich zu arbeiten. Wir erfahren die Bestrebung des Autors, die Werte seines Bapuji fortzuleben, und welche Wege er privat und beruflich gegangen ist. Viel Geschichtliches fließt ein und wir erinnern uns an die Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947.

... ein Zitat

"Im Ashram standen wir jeden Tag um 4.30 Uhr auf, um uns fertig zu machen für die Fünf-Uhr-Gebete. Bapuji hatte universale Gebete aus den Texten der verschiedensten Religionen herausgefiltert. Er glaubte, dass jede Religion ein Quäntchen Wahrheit enthalte und dass es problematisch sei, zu glauben, das Quäntchen sei die ganze und einzige Wahrheit. Bapuji sprach sich gegen die britische Herrschaft und für die Selbstbestimmung aller Menschen aus, und dafür saß dieser Mann, der nichts als Liebe und Frieden verbreiten wollte, fast sechs Jahre lang in indischen Gefängnissen ... Die zwei Jahre, die ich bei Bapuji verbrachte, waren für uns beide eine wichtige Zeit ... Bapuji zeigte mir in einfachen, praktischen Lektionen, wie ich meine persönlichen Ziele erreichen konnte. Gleichzeitig durfte ich Zeuge der Geschichte Indiens werden. Es war ein Intensivkurs in seiner Philosophie: "Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für die Welt."

... was mich bewegt hat

Aruns ganz besonderes Verhältnis zu seinem Großvater, dem geachteten, berühmten Mahatma Gandhi. Die geführten Gespräche. Und Aruns Schmerz, als sein Bapuji ermordet wird. 

Besonders berührend fand ich, wie Aruns Vater (also Mahatmas Sohn) auf eine Lüge Aruns reagiert. Eine sehr beispielhafte Lektion.
Schön auch Arun Gandhis Verneigung vor dem Filmepos "Ghandhi", nachdem ihn zunächst größte Zweifel beschlichen hatten.

... die Sprache

Arun Gandhi hat dreißig Jahre lang als Journalist für die "Times of India" gearbeitet und schrieb außerdem für die "Washington Post". Umgang mit Sprache ist ihm nicht fremd. Er vermag zu berichten und ist darüberhinaus ein guter Erzähler.

... ein Fazit

Zunächst hatte ich Bedenken, dass der Autor seinen berühmten Nachnamen nutzt, um daraus Kapital zu schlagen. Im Laufe des Buches lernte ich aber einen wirklich engagierten berührten Menschen kennen. Wer damals "Gandhi" im Kino gesehen hat und ergriffen war, der wird gerne lesen, was uns sein Enkel zu sagen hat.


"Ventoux" von Bert Wagendorp



"Ich verstehe jetzt, wieso Moses wegen der zehn Gebote auf einen Berg rauf musste."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Nach dreißig Jahren beschließt eine Gruppe von Freunden, ein zweites Mal mit ihren Rennrädern auf den Ventoux zu fahren. Bei der ersten Tour muss etwas passiert sein, denn von den vier Freunden kehrten nur drei nach Hause zurück. Laura, das einzige Mädchen im Bunde, spielt eine undurchsichtige Rolle und fasziniert die Freunde und ob ihrer Unergründlichkeit auch den Leser.
Laura verschwindet nach der ersten Bergtour aus dem Leben der Jungen und meldet sich erst nach all den Jahren wieder, um mit den Männern ein weiteres Mal den Ventoux zu bezwingen. Dahinter steht die Hoffnung, es käme endlich zur Klärung damaliger Vorfälle. Wie und warum wurde Peter in einen Unfall verwickelt und weshalb ist Laura weggegangen? Die Tour soll Antworten bringen und tatsächlich kommt Überraschendes ans Tageslicht.
Die Story lebt von den einzigartigen Charakteren und der wunderschönen Bergkulisse. Die sportliche Anstrengung und der Versuch, ein Team zu bilden, stehen im Mittelpunkt. Im Leben müssen immer wieder Entscheidungen getroffen werden. Auch das rückt ins Zentrum und macht diesen Roman mit aus.

... ein Zitat

"Im Windschatten der drei Männer vor mir glitt ich ins Universum meiner Jugend zurück und fühlte mich geborgen. André fuhr an der Spitze. Er hatte David mit einem Handzeichen an sein Hinterrad geschickt; zwischen David und mir fuhr Joost. Auf den neu asphaltierten Abschnitten der Straße hörte man nur das Summen der Reifen, ein Geräusch, das normalerweise ein Glücksgefühl in mir weckt, jetzt aber auch Wehmut ... Beim Überholen eine kurze Berührung am Rücken wie eine Liebkosung. Man spürt, wie alle sich konzentrieren, wie sie versuchen, ein einziger Rad fahrender Organismus zu werden, ein Körper, ein Geist."

... was mich bewegt hat

Die Energie, die die Freunde zweimal aufbringen, um auf den Ventoux zu fahren und die Gefühle, die dabei aufkommen. Über Jungen- und Männerfreundschaft, Väter, Mütter, Söhne und Töchter und Familienbande. Alles sehr bewegend ausgelotet und berührend in diesen Roman gepackt.

... die Sprache

Sie ist einfach gehalten, fällt gar schon mal in Jugendsprache. Aber die vier Jungen sind clever und belesen, so dass die Konversationen durchaus Niveau haben. Ich empfand das Buch sprachlich als locker und flüssig und doch habe ich an vielen Stellen innehalten müssen, um sie recht genießen zu können.

... ein Fazit

Ich möchte das Buch sehr empfehlen. Die Jungenfreundschaft und die Liebe zu dem einen Mädchen ist sehr vielschichtig geschildert und hat mich mitgerissen. Alle träumen den gleichen Traum und doch sind sie ganz unterschiedlich. Der Fahrradsport und ein wacher Geist verbinden sie. Darüber hinaus lassen sie Interesse für Literatur und Wissenschaft erkennen. Intelligente und sympathische junge Männer also, deren Leben ich gerne verfolgt habe.
Bis zum Ende des Buches wird eine ungeheure Spannung aufgebaut. Und Laura sorgt für eine Überraschung. Einzig den Epilog hätte sich der Autor sparen können, denn der ist mir zu aufgesetzt und überzogen.

Sonntag, 16. Juli 2017

"Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden"
 von Raymond Carver



"Ich hörte das Menschengeräusch, das wir machten, während wir dasaßen ..."

Es bleiben in Erinnerung ...

... die Stories

Raymond Carver erzählt von Hoffnungslosigkeit, von abhanden kommender Orientierung und Liebe. Kleine Katastrophen bahnen sich im Zwischenmenschlichen an, lassen Paare nebeneinander herleben ohne rettende Idee, wie es weitergehen soll. Der Autor erweist sich als Meister der Lakonie und lässt uns gerne zwischen den Zeilen lesen. Vom Begehren und Sehnen, der Lust an Gewalt und Zerstörung und vom tröstenden Glas Alkohol. Einfache Menschen versuchen einfach nur glücklich zu sein und das wird zur schweren Lebensaufgabe.

... ein Zitat

"Er steht auf und füllt ihre Gläser nach.
Das war's, sagt er. Ende der Geschichte. Ich gebe zu, es ist keine sehr aufregende Geschichte.
Mich hat sie interessiert, sagt sie.
Er zuckt mit den Schultern und nimmt seinen Drink mit hinüber ans Fenster. Es ist inzwischen dunkel geworden, aber es schneit noch immer.
Die Dinge verändern sich, sagt er. Ich weiß nicht, wie sie das tun. Aber sie tun es, ohne dass man es merkt oder dass man es möchte."

... was mich bewegt hat

Die stille Verzweiflung, für die die Protagonisten manchmal noch nicht mal Worte finden. Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit.

... die Sprache

Minimalistisch und knapp. Einfacher Satzbau.

... ein Fazit

Die Stories gefallen mir nicht immer, und wie er sie zu Ende bringt, auch nicht. Ich würde nicht "offen" dazu sagen (das mag ich normalerweise), eher irritierend. Vielleicht liegt es an den erheblichen Streichungen, die Carvers Lektor vorgenommen hat? Kenner empfehlen nämlich, man solle zur ursprünglichen Version dieses Buches greifen, also zur unlektorierten Fassung, die erst nach Raymond CarversTod erschienen ist. Diese trägt den Titel "Beginners", weist etwa doppelte Seitenzahl auf und lässt fast alle Geschichten in einen anderen Schluss auslaufen. Carvers Witwe hat auf diese Veröffentlichung bestanden, wohlwissend, dass ihr Mann sehr mit den maßlosen Kürzungen haderte. Mir stellt sich die Frage nach der Autorität eines Lektors. 

"Falke" von Helen Macdonald



"Diese gelassenen, betörend schönen Räuber der Lüfte ...


Es bleibt in Erinnerung ...

... das Natur- und Kulturgeschichtliche, das Helen MacDonald zusammengetragen hat. Die Natur als Spiegel des Menschen. Was wir der Natur zuschreiben oder in ihr erblicken, hat viel mit uns selbst zu tun:  in antiken Mythen gilt der Falke als Bote zwischen Himmel und Erde, sowie zwischen Göttern und Menschen. Zudem wird er oft mit Heirat und Fruchtbarkeit assoziiert. In Kasachstan vertreibt der stechende Blick des Falken Dämonen. In Ägypten werden Verstorbene als fortfliegende Falken dargestellt. Wir sehen in ihm Stolz, Mut und Kampfgeist. Alles Menschenzuschreibungen.

In weiteren Kapiteln geht es um die Falknerei und den Einsatz abgerichteter Falken im Krieg und schließlich um seine Arterhaltung und die Ansiedlung im urbanen Raum. Helen MacDonald lobt ein gestiegenes Umweltbewusstsein und befürwortet die unterstützende Züchtung von Falken in Gefangenschaft, um sie anschließend auszuwildern. Alleine der Peregrine Fund setzte Anfang der 1980er Jahre über hundert Wanderfalken aus. Doch eine Gefährdung durch chemische Schadstoffe und Habitatsverlust besteht weiterhin. Man sollte nicht nachlassen, die Falkenpopulationen aufmerksam zu beobachten und zu schützen.

... ein Zitat

"Die Geschichte von Untergang und Wiederauferstehung des Wanderfalken ist wahrhaft einzigartig. Noch vor vierzig Jahren kursierten allenthalben düstere Prognosen vom Aussterben dieser Art. Inzwischen ist der Wanderfalke von der Liste der in den USA bedrohten Arten wieder gestrichen. Um ihn zu retten, wurden Millionen Dollar investiert und engagierten sich Tausende von Menschen, Universitäten, Regierungen, Unternehmen, ja sogar das Militär. Doch was genau fasziniert uns an solchen Erfolgsgeschichten, die von der Rettung einer Tierart erzählen?"

... was mich bewegt hat

Falke ist nicht einfach nur der Stoff, aus dem dieses Buch gemacht ist, sondern der Greif, der die Autorin bereits als Kind fasziniert hat. Für sie stand schon damals fest, dass sie Falknerin werden wollte. Sehr berührend sind die Dankesworte an ihre Eltern am Ende des Buches:
"Zuletzt möchte ich einen ganz besonderen Dank meinen unendlich geduldigen Eltern aussprechen, die einem kleinen Mädchen erlaubten, seinen Turmfalken bei sich im Schlafzimmer auf dem Bücherregal übernachten zu lassen, obwohl er einen Riesendreck machte."

... die Sprache

Im Grunde ist es die Sprache eines Sachbuches, aber Helen MacDonald liebt es auch, zu erzählen. Ich empfand das als sehr angenehm. Manchmal gerät die Sprache gar ins Schwärmen, wird die einer ganz persönlich berührten Falknerin.

... ein Fazit

Wen Greifvögel faszinieren (so wie mich), der sollte dieses Buch lesen. Wissenswertes und ein Hauch von Anbetung, das ist es, was dieses Buch ausmacht.

Übrigens ein Buch in hervorragender Aufmachung. Anschaulich bebildert, schönes Schriftbild, feste Seiten. Ein kleines Schmuckstück.

Sonntag, 2. Juli 2017

"Gehen, ging, gegangen" 
von Jenny Erpenbeck


"Über das sprechen, was Zeit eigentlich ist, 
kann er wahrscheinlich 
am besten mit denen, 
die aus ihr hinausgefallen sind."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Richard ist kürzlich pensioniert worden und setzt sich grübelnd mit dem Begriff Zeit auseinander, denn davon hat er unversehens ganz viel. Als Professor für Alte Sprachen in Berlin erlebte er seinen Tagesablauf geregelt und erfüllt. Nun aber muss er "aufpassen, dass er nicht irre wird", da er sich ohne Aufgabe und Antrieb zu Hause einer gewissen Schwermütigkeit stellen muss.
Als er in der Stadt der Flüchtlinge aus Afrika gewahr wird, die auf dem Oranienplatz campieren, ist sein Interesse geweckt. Zunächst erstellt er professorenhaft einen Fragenkatalog, macht sich auf den Weg zu diesen Menschen und hofft auf Antworten, die ihm auch persönlich weiterhelfen. Genau wie er sind die Flüchtlinge aus der Zeit geworfen und er fühlt zu ihnen eine gewisse Nähe. Richard entwickelt sich darüber zu einem engagierten Helfer, der die Afrikaner zum Deutschunterricht und bei Behördengängen begleitet. Letztendlich nimmt er gar Flüchtlinge in seinem Haus auf.
Jenny Erpenbeck hat den Buchtitel gut gewählt, denn dieser umfasst viel: in erster Linie ist es natürlich die Konjugation des Verben "gehen" und damit ein wesentlicher Teil des Deutschunterrichts, aber er stellt auch direkt den Bezug zum Thema Zeit her. Die Flüchtlinge sind einen schweren Weg gegangen und wie geht es aktuell weiter, da sie größtenteils nur temporär in Deutschland geduldet sind? Richard ist in Rente gegangen und geht im Romanverlauf den absichtsvollen Weg hin zu neuen Aufgaben und Inhalten.

... ein Zitat

"Es ist jedenfalls so, dass Richard von jetzt an nicht mehr pünktlich aufstehen muss, um morgens im Institut zu erscheinen. Er hat jetzt einfach nur Zeit. Zeit, um zu reisen, sagt man. Zeit, um Bücher zu lesen. Proust. Dostojewski. Zeit, um Musik zu hören. Sein Kopf jedenfalls arbeitet noch, so wie immer. Was fängt er jetzt mit dem Kopf an?"

... was mich bewegt hat

Richard hat mich bewegt, dieser intelligente, leicht tölpelhafte eremitierte Professor, den Jenny Erpenbeck zunächst in ein etwas naives Licht stellt. Aber sie mag ihn und nimmt auch mich für ihn ein.
Und die Einzelschicksale unter den Flüchtlingen bewegen natürlich, wobei die Autorin uns an deren Geschichte teilhaben lässt, ohne dabei rührselig zu werden.

... die Sprache

Leicht und flüssig zu lesen, dabei ansprechend. 
Der Roman setzt sich im Ganzen mit Sprache auseinander: auf der einen Seite der Professor für alte Sprachen, der gar Seneca, Ovid und Tacitus zu zitieren vermag, auf der anderen Seite der Deutschunterricht für die Flüchtlinge, in dem die Sprache zum simplen Lebenswerkzeug im fremden Land wird. Sprachlich also durchaus umschichtig und schön angepasst.


... ein Fazit

In diesem Roman steckt sehr viel: ein persönliches Anliegen Jenny Erpenbecks, ein hochaktuelles Thema und die bemerkenswerte Entwicklung eines Mannes. Für mich rund und lesenswert!
Jenny Erpenbeck ist selber in der Flüchtlingshilfe aktiv, hatte gar einen Flüchtling bei sich aufgenommen. Sie schickt Richard sozusagen in eigener Sache, Fragen zu formulieren und Antworten zu finden. Als Leser erfährt man viel über Begrifflichkeiten wie "Duldung" und "Aufenthaltsstatus".
Der Autorin wurde bereits vorgeworfen, ihr Roman wirke zu konstruiert. Das empfinde ich nicht so.

"Glückskind mit Vater" von Christoph Hein



" Mein Vater hat so viele Menschen auf dem Gewissen. 
Und jetzt bringt er auch noch mich um."


Es bleibt in Erinnerung ...

... die Story

Konstantin kommt am 14. Mai 1945 in einer deutschen Kleinstadt zur Welt. Zwei Wochen später wird sein Vater in Polen als Kriegsverbrecher gehenkt. Ein Mann, der als glühender Nationalsozialist sein Kunststoff produzierendes Werk um ein Konzentrationslager hatte erweitern wollen, um günstig an Arbeitskräfte zu kommen. "Vernichtung durch Arbeit" nannte man das damals.
Konstantins durch Enteignung verarmte und zutiefst beschämte Mutter setzt bei den Behörden durch, dass sie für sich und die beiden Söhne ihren Mädchennamen wieder annehmen darf. So beginnt der verzweifelte Versuch dieser Familie, die Vergangenheit abzuschütteln. Alleine Gunthard, Konstantins Bruder, leugnet die Gräueltaten des Vaters und hält den Vater hoch. Von da an gehen die Brüder getrennte Wege.
Konstantin flüchtet zunächst nach Marseille, wo er die wahrscheinlich glücklichste Zeit seines Lebens verbringt. Seine Mutter hatte ihre Söhne stets zu Hause in Sprachen unterrichtet. Dieses Wissen befähigt Konstantin, in Marseille als Dolmetscher zu arbeiten. Seiner besonders nimmt sich ein Buchantiquar an, der ihm nicht nur zu einer Anstellung und Wohnung verhilft, sondern auch noch zur Abendschule schickt und Konstantin das Abitur nachmachen lässt. Seinen Vater kann Konstantin sehr lange verdrängen, bis ihn dieser auch in Frankreich 
einholt ...
Konstantin flüchtet zurück nach Deutschland, als in Berlin gerade die Ostzone abgeriegelt wird. Auf ostdeutscher Seite schließt er seine Mutter wieder in die Arme und lässt sich in Magdeburg nieder. Studienjahre, Bewerbungen und sein Ersuchen, vom normalen Pädagogen zum Schuldirektor aufzusteigen, werden zum fast aussichtslosen Kampf, denn die Angaben zu seinem Vater in seiner Akte versperren im nahezu jeden Weg. Zwischendurch empfindet er sich immer mal als Glückskind ... doch er ist und bleibt das Kind dieses Vaters. Rückschläge.
Der Roman spiegelt sehr gut diese Zeit nach dem Mauerbau wieder, sowohl politisch als auch gesellschaftlich.
Nach der Wende klagt Konstantins Bruder das  Erbe seines Vaters erfolgreich ein, Konstantin jedoch verzichtet auf das Millionenerbe.

... ein Zitat

"Gunthard und ich waren und blieben seine Söhne über seinen Tod hinaus, wir blieben seine Kinder ... Über seinen Besitz wussten wir Bescheid, noch jahrelang gab es verschiedene Hinweise in der Stadt auf seine Fabrik, Straßenschilder, Wegzeichen, Inschriften und die Leute redeten darüber, denn viele von ihnen waren dort einst beschäftigt gewesen, aber über seine Aktivitäten im Krieg, seine Beziehungen zu hohen Nazigrößen wie Todt und Gebhard Himmler sprach man nicht, obwohl jeder in der Stadt andererseits behauptete, die beiden gesehen zu haben, als sie Vater besucht hatten.
Und das Rätsel blieb für uns und wuchs und wurde größer und belastender. Für mich jedenfalls. Gunthard kam leichter damit zurecht."

... was mich bewegt hat

Konstantins Familiengeschichte bewegt einfach sehr, da er "als Nachfahre dieses gefürchteten Mannes" tatsächlich ein Leben lang gezeichnet ist. Konstantin wird die Bürde nicht los. Das schuldlos gescheiterte Leben eines Kriegsverbrecherkindes. Auch die Beziehung zur Mutter leidet extrem darunter, obwohl die beiden sich sehr nahe sind. 
Und Konstantin beschließt keine Kinder zu wollen, damit der Dämon nicht durch ihn weitergegeben wird. Man spürt die Qual dahinter.


... die Sprache

Der Roman liest sich trotz seiner Länge leicht und schnell. Christoph Hein versteht sich darauf, den Leser zu berühren, ohne sprachlich in Unmäßigkeit oder Theatralik und zu fallen. Sein Schreibstil bleibt eher ruhig und nüchtern. 

... ein Fazit

Ein großer deutscher Roman mit einer bewegenden Geschichte. Sechzig Jahre spannen sich hier auf: vom Zweiten Weltkrieg über die Teilung des Landes bis hin zu Wiedervereinigung. Die Figur des Konstantin hat mich sehr gefesselt, besonders sein Faible für Antiquariate 😉
Sehr lesenswert!